Mügeln aus afrodeutscher Perspektive

Die afrodeutsche Antirassismus-Trainerin Manuela Ritz ist in Mügeln aufgewachsen. Nun wurde sie von der Zeit Online zum Thema Rassismus interviewt. Hier einige Ausschnitte:

ZEIT online: Gibt es Rassismus in Mügeln?

Ritz: Es gibt Rassismus in Deutschland. Schon der Umgang mit den Worten zeigt das Problem. Wenn man von Rechtsradikalismus spricht, kann man sich zurücklehnen und sagen, es geht nur um fünfzig Leute, die wahnsinnig sind. Wenn man dagegen von Rassismus spricht, muss sich jeder selbst anschauen, muss nachdenken, mit welchen Vorurteilen er durch die Gegend läuft. Dass das Wort so vermieden wird, liegt daran, dass es dabei um alle geht. Das ist der Kern des Problems. Tendenziell auch bei jenen, die sich gar nicht für rassistisch halten, trotzdem aber Bilder und Sprüche im Kopf haben, die in diese Richtung gehen.

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Was mir zeigt, dass sich die Einstellung in diesem Land nicht geändert hat, egal in welcher Stadt. Es wird immer noch so getan, als wäre deutsch gleich weiß. Und wer asiatisch oder indisch aussieht, gehört nicht hier her. Und wird wegen seines Aussehens kriminalisiert. Das ist makaber, wenn man bedenkt, das zum Beispiel Schwarze seit dem 15. oder 16. Jahrhundert hier leben.

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ZEIT online: Viele Mügelner sagen, sie seien nicht rassistisch, sie würden ja auch beim türkischen Dönerstand und dem vietnamesischen Blumenladen einkaufen.

Ritz: Meine Mutter hat mich nach dem Vorfall angerufen und sagte als ersten Satz wörtlich: Wir werden berühmt. Das fand ich sehr erschreckend. Aber es ist auch bezeichnend. Sie erleben ihren Rassismus ja nicht selbst. Sie haben nur dabei gestanden. Abbekommen haben es die Inder, die da um ihr Leben rannten. Und manche beklagen jetzt sogar, dass Mügeln in Misskredit gezogen wird. Das ist makaber, sich selbst in den Fokus zu stellen, sich zu bemitleiden, dass “es” passiert ist.

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Irgendwann sind die Journalisten wieder weg und dann geht alles wieder seinen geregelten Gang. Da schließt sich für mich auch der Kreis. Das ist möglich, wenn man sagt, es waren nur ein paar Rechtsradikale. Dann kann man schnell zur Tagesordnung übergehen. Wenn man das darüber liegende Thema Rassismus ansprechen würde, ging das so schnell nicht. Dann müsste man sich damit auseinandersetzen und zugeben, bei uns gibt es Rassismus, wir sind vielleicht selbst rassistisch.

Es geht um eine Auseinandersetzung mit mir selbst. Ich muss für mich selbst klären, ob ich rassistisches Gedankengut habe und wie ich es loswerden kann. Darum geht es auch bei den Workshops, die ich leite: den Menschen zu zeigen, was alles in ihnen ist. Dann können sie entscheiden, was sie damit tun wollen. Wenn man nicht hinschauen will, kann man nichts gegen Rassismus tun. Man muss sich den Dingen stellen, die man selber denkt.

ZEIT online: Nach solchen Vorfällen wird schnell mehr Zivilcourage gefordert. Hilft es, couragierter zu sein?

Ritz: Ich frage mich, wieso es immer Zuschauer geben muss, wenn ein paar Leute zuschlagen. Wenn ich allein Zuschauerin wäre von fünfzehn Männern, würde ich auf Zivilcourage pfeifen. Aber wenn das Verhältnis so ist, wie es in Mügeln war, wundere ich mich, warum niemand etwas tut. Für mich beantwortet es die Frage, ob es in Deutschland Rassismus gibt: Das Zuschauen und Nichtstun ist ein stilles Bekenntnis, dass es ok ist, was dort passiert. Man macht nichts, um deutlich zu machen, das ist nicht in Ordnung.

via BLACKprint

die Unteilbaren

Jetzt gibt es auch eine französische Schwesterorganisation, die sich nach dem Vorbild des braunen mob e.V. gegründet hat: “les indivisibles” (“die Unteilbaren/Untrennbaren”).

“Unser Name “Les Indivisibles” ist inspiriert vom ersten Artikel der Französischen Verfassung, in dem es heißt, Frankreich ist eine unteilbare Republik”, so die Vorsitzende Rokhaya Diallo.

Ihre Homepage ist www.lesindivisibles.fr

ihre Vorstellungsbroschüre kann hier heruntergeladen werden.

Wir wünschen unzertrennlich viel Erfolg!

Sw

Ron Williams zu den Übergriffen in Mügeln:
Es heißt doch “Rassismus”!

+++++Pressemitteilung der Stiftung Leben ohne Rassismus+++++

Als schwarzer Mensch habe ich schon wieder dieses unangenehme Gefühl im Bauch, dass das Problem “Fremdenfeindlichkeit”, “Fremdenhass” oder “Ausländerfeindlichkeit” nach dem neuen brutalen Angriff auf acht Inder in Mügeln/Sachsen, erneut zu lauten und empörten Reaktionen des Entsetzens und Bedauerns von Politikern und Justiz führen wird ” geführt hat “, ohne dass sich wirklich etwas ändern wird.

Ich bin erstaunt und bekümmert, wie die gleichen Abläufe der Reaktionen der zuständigen Behörden, regionale, Landes- und Bundespolitiker und sogar Kirchenführer nach solchen Verbrechen zu erleben sind.

Was sind die Gründe? Will man hier, wie auch in manch anderen Ländern, den gesellschaftlich verankerten Rassismus nicht wahrhaben? Schon allein die vom Verfassungsschutz veröffent¬lichte Zahl von über 20% Anstieg der Gewaltakte gegenüber Schwarzen und Menschen mit Migrationshintergrund seit Anfang 2007, sollte der Anlass sein, dieses Problem als “dringend” einzustufen. Solange von deutschen Staatsbürgern Ausrufe wie “Ausländer raus!” und “dies ist national befreites Gebiet!” zu hören sind, kann man sich hier als demokratisch fühlender Mensch ” In- oder Ausländer, Tourist oder Investor ” einfach nicht wohlfühlen.

Der Vorschlag von Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, die Zuständig¬¬keit für den Kampf gegen Rechts vom Familienministerium ins Innenministerium zu verlagern, ist meines Erachtens richtig. Familienministerin Ursula von der Leyen sollte diesen Vorschlag erneut überdenken, denn die Zeit drängt.

Ein Freund, der afro-deutsche Tahir Della, Leiter der Zweigstelle München “Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland e.V.” bringt es auf den Punkt mit vier Fragen und anschließender Feststellung:

1.     Warum kommen noch immer rassistische Straftäter mit vergleichsweise milden Urteilen  davon?

2.     Wieso werfen sich Menschen, die offensichtlich nicht von Rassismus betroffen sind, in öffentlichen Diskursen gegenseitig Argumentationsbälle zu, während Menschen mit Rassismus-Erfahrungen bestenfalls ihre Opferrolle ausfüllen dürfen, aber nicht als fachlich kompetente Gesprächspartner angefragt und anerkannt werden?

3.     Weshalb legt das Bildungssystem keinen Wert auf eine längst notwendige     Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte?

4.    Wieso fällt es so schwer, rassistische Begriffe und Bilder aus Schulbüchern zu     entfernen?

Als Amerikaner komme ich aus einem Land, in dem dieses Problem auch heute leider noch allgegenwärtig ist. Ich habe immer gehofft, dass Deutschland nicht den gleichen Fehler macht, wie zu viele US-Politker und Gesellschaftsführer sowie die Bürger: Über die Jahrzehnte das Problem “Rassismus” zu verharmlosen und nicht konkret anzugehen. Die traurigen Resultate sind heute in der US-Gesellschaft deutlich sichtbar.

Tahir Della:
“Rassismus darf keine medienwirksame Eintagsfliege bleiben, sondern muß zum gesellschaftlich relevanten Dauerthema werden.”

Ich stimme dem Mann zu. Es wäre schön jemanden wie ihn z.B. in TV-Talkrunden öfter zu Wort kommen zu lassen.

Ron Williams
Sänger, Schauspieler, Entertainer
Schirmherr “Stiftung Leben ohne Rassismus”
Träger des Bundsverdienstkreuzes
verliehen für sein Engagement gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
Tel. 089 226846 , www.ron-willams.de

PM des Antidiskriminierungsverbandes Deutschland (advd) zum einjährigen Bestehen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)