INITIATIVE IN GEDENKEN AN OURY JALLOH KÜNDIGT RÜCKTRITT AUS DEM PROZESS AN

via http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/

STELLUNGNAHME ANLÄSSLICH DER FORTSETZUNG DES PROZESSES
IM TODESFALL OURY JALLOH, Dienstag, 10. Juni 2008

Pressemitteilung 13.Juni 2008

(…)

Der Prozess gegen die beiden Polizeibeamten in Dessau, die wegen
Körperverletzung mit Todesfolge bzw. fahrlässiger Tötung angeklagt sind,
kommt langsam zum Ende. Die wesentlichen Fragen, die zur Aufklärung des
Mordes hätten führen können, wurden in dem Prozess gar nicht erst gestellt

  • Wie gelang ein Feuerzeug(1)in die Zelle, obwohl Oury Jalloh zuvor
    gründlich durchsucht worden ist?
  • Wie kann ein an Händen und Füßen gefesselter Mensch eine schwer
    entflammbare Matratze in Brand setzen?
  • Wie kam die Leiche Oury Jallohs zu einem gebrochenen Nasenbein, einer Verletzung, die zuvor niemand festgestellt hatte?
  • Wo ist das Video der Tatortermittlergruppe und wie konnte es einfach
    verschwinden?
  • Wie kann die zweite Handschelle, die als Beweismittel gelten sollte,
    weggeschmissen werden?

Da der Prozess auf der These beruht, Oury Jalloh hätte sich selbst
umgebracht, wird niemand aus dem Dessauer Polizeirevier für diesen
tragischen Tod zur Rechenschaft gezogen. Da nicht bewiesen werden kann,
dass Hans-Ulrich März ein Feuerzeug übersehen hat, wird er
wahrscheinlich freigesprochen. Andreas Schubert wird vermutlich wegen
Fahrlässigkeit schuldig gesprochen, da er Oury Jalloh nicht unverzüglich
geholfen hat, als das Feuer in Zelle Nr. 5 ausbrach. Sollte das Urteil
so ausfallen, wird es einer Person, die mehr als einen mysteriösen Tod
zu verantworten hat (siehe Fall Mario Bichtemann)(2) weiterhin erlaubt
sein, als Polizeibeamter zu arbeiten und – was vielleicht noch wichtiger
ist – seinen Rentenanspruch zu behalten.

Dies sieht nach einem faulen Kompromiss aus, den die deutschen Behörden
mit der Öffentlichkeit machen wollen. Auf der einen Seite wahren sie den
Anschein eines Rechtstaats, in dem Fehler des Systems beleuchtet (43
Prozesstage) und aufgeklärt werden. In der Tat ist es selten, dass
Polizeibeamte auf der Anklagebank sitzen. Auf der anderen Seite will das
Dessauer Gericht aber auf keinen Fall die Ermittlungen in Richtung Mord
lenken, geschweige denn die Ereignisse vom 07.01.2005 rückhaltlos
untersuchen und offen legen. Am allerwenigsten ist den Verantwortlichen
daran gelegen, dass deutsche PolizistInnen wegen Mordes an einem
Afrikaner womöglich zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden. So
sieht der Dessauer Kompromiss aus: Nicht schweigen, aber auch nichts sagen.

Auch die Aufforderung des Polizisten Swen Ennulat an das Gericht, nach
kriminologischer Weise in verschiedene Richtungen zu ermitteln, um den
Tathergang zu rekonstruieren, was beinhaltet, auch unkonventionelle
Fragen aufzuwerfen, konnte das Gericht nicht von der einseitigen,
absurden These der Selbsttötung abbringen. Aufgrund der vielen
Ungereimtheiten an der Selbstmordthese hält sogar ein Polizist – und
nicht nur er – auch ganz andere Handlungsabläufe in der Tatnacht für
realistisch, inklusive einer “dritten Hand”. Das Gericht beharrt jedoch
auf der Selbstmordthese und verwehrt sich gegen jegliche, in die andere
Richtung gehende Ermittlungen.

Nach so vielen verschwundenen und manipulierten Beweismitteln, nach so
vielen systematischen Vertuschungen und so vielen Lügen und
Falschaussagen, die ohne Konsequenzen geblieben sind, haben die
deutschen Behörden wieder einmal bewiesen, dass sie dem Anspruch eines
Rechtsstaats nicht gerecht werden können. Der Prozess, der in aller
Länge und Ausführlichkeit den Unwillen der Staatsanwaltschaft und der
Justiz gezeigt hat, gegen rassistische Gesinnung und Polizeigewalt
vorzugehen, ist daher eine Farce (3)!
Wer daran zweifelt, sollte einfach über Richter Steinhoffs Vergleich des
Falles mit Murphys Gesetz nachdenken.

Von Richter Steinhoff und der Staatsanwaltschaft hätte es etwas Mut und
vor allem einer vorurteilsfreien Haltung bedurft, um aufgrund der sich
als roter Faden durch den Prozess ziehenden Ungereimtheiten,
Ermittlungspannen und Falschaussagen neue Ermittlungen wegen Mordes
einzuleiten. Stattdessen wird nach all den Skandalen und unter unserem
Druck alles darangesetzt, der Öffentlichkeit ein bemühtes und mit
Aufklärungsinteresse versehenes Gericht vorzugaukeln. Ein sehr langes
Verfahren und aufwendige Experimente sollen vortäuschen, das Gericht
hätte ein ernsthaftes Interesse daran herauszufinden, wie Oury Jalloh
gestorben ist.

Dieser Mut aber, diese absolut notwendige, demokratische Gesinnung, hat
von Anfang an gefehlt. Stattdessen geben sich alle Beteiligten damit
zufrieden, den Schein eines Rechtsprozesses erfüllt zu haben, ohne dass
es je notwendig gewesen ist, nach Wahrheit und Gerechtigkeit zu streben.

Und so läuft der Prozess, gegen dessen Aufklärung gerichtet, seinem Ende
entgegen, während draußen vor dem Verhandlungssaal weiterhin Prozesstag
für Prozesstag die ProzessbeobachterInnen per Ausweiskopie erfasst, mit
dem Metalldetektor untersucht und per Hand gefilzt werden.

Und warum das alles? Um diejenigen, die den Prozess erzwungen haben, zum
Schweigen zu bringen und unter die Gewalt des Richters zu stellen. Doch
wenn man über all die Versuche der Justiz nachdenkt, den Eindruck eines
rechtsstaatlichen Prozesses zu vermitteln, kann man sehr leicht
feststellen, dass die einzige Legitimität im Gerichtsaal weder vom
Richter, noch vom Staatsanwalt, noch von den PolizistInnen ausgeht, die
angeblich da sind, um uns alle zu schützen. Nein, die Einzigen, die
diese Legitimität besitzen sind diejenigen, die den Mund aufgemacht
haben und nie zum Schweigen (4) gebracht wurden.

Vor diesem Hintergrund können wir nur erklären, dass das Gericht seine
vorgebliche Bestimmung, aufzuklären und Recht zu sprechen, in keiner
Weise nachgekommen ist und wir folglich aus dem Prozess aussteigen.

Das ganze Gerichtsverfahren hat uns wieder dorthin gebracht, wo wir
hergekommen sind: Auf die Straße! Dort hat uns der Mord an einem aus
unseren Reihen zusammengetrieben, und dort haben wir durch beharrlichen
und konsequenten Kampf bewirkt, dass der Fall Oury Jalloh über die
Grenzen der BRD hinaus bekannt wurde. Vielen ist das wahre Gesicht des
deutschen Systems deutlich geworden. Es ist wichtig, dem Ausdruck zu
verleihen und unser Recht einzufordern. Deshalb findet ab sofort an
jedem Verhandlungstag eine Kundgebung vor dem Landgericht in Dessau
statt. Auch wird es im Juli eine bundesweite Demo in Dessau geben.

Außerdem geben wir bekannt, dass wir ab sofort daran arbeiten, eine
unabhängige Kommission ins Leben zu rufen, die nicht nur den Fall Oury
Jallohs untersuchen wird, sondern auch andere, ähnliche Fälle wie Adem
Özdamar in Hagen, Amir Ageeb in Frankfurt, John Achidi in Hamburg, Laye
Konde in Bremen, Mohammad Selah in Remscheid, Dominique Koumadio in
Dortmund u.a. Wir rufen alle Menschenrechts- und politischen
Organisationen, politischen Parteien und die Öffentlichkeit dazu auf,
dieses Ziel zu unterstützen.

Fast 3 1/2 Jahre nach Oury Jallohs bestialischem Tod in Zelle Nr. 5 in
Dessau und nach 43 Prozesstagen und 8 Jahre nach dem Mord an Alberto
Adriano in Dessau sagen wir weiterhin:

Oury Jalloh — das war Mord!

und fordern:

BREAK THE SILENCE!

Wahrheit! Gerechtigkeit! Entschädigung!

Die Kundgebungen finden jeweils am Montag, den 16. Juni, Freitag, den
04. Juli und Donnerstag, den 31. Juli um 9:00 Uhr vor dem Landgericht
Dessau statt.

Initiative in Gedenken an Oury Jalloh / c/o ARI / Colbestrasse 19 /
10247 Berlin / Tel: +49 (0)170 8788124

END

The VOICE Refugee Forum Jena
Adresse: Schillergässchen 5, 07745 Jena
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1 reply
  1. Anne
    Anne says:

    Ein sehr interessantes Bericht.Ich habe mich immer gefragt was aus dem Prozess geworden ist.Es wahr leider nichts anderes zu erwarten von den Deutschen.

    Auf der anderen Seite freue ich sehr zu wissen das es so eine Organisation von Bruedern and Schwestern gibt die für Gerechtigkeit kämpfen.Sie leisten sehr gute Arbeit und ich hoffe dass Sie immer grosser und stärker werden.

    Weiter so.

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