bayerisches Kultusministerium: Kolonialrassismus unbedenklich

Mit einer hohen Auflage, zahlreichen Auszeichnungen, emanzipatorischen Botschaften und dem Sprachgebrauch der damaligen Zeit begründet das bayerische Kultusministerium seinen Entschluss, “Pippi Langstrumpf” weiterhin als Lektüre für dritte Klassen zuzulassen. Eine Literaturwissenschaftlerin (und Mutter) hatte in einem offenen Brief dezidiert auf das in Astrid Lindgrens Büchern vorhandene koloniallrassistische Gedankengut und Vokabular hingewiesen und ein Antwortschreiben erhalten, das voller Widersprüche steckt.

Die empfohlenen Bücher mit Texten wie “Und übrigens (…) will ich euch sagen, dass …es in Kenia keinen einzigen Menschen gibt, der die Wahrheit sagt.” oder “Malin war so dreckig, dass es eine richtige Freude war, sagte Großmutter.. Lange Zeit hat Großmutter geglaubt, dass sie eine Negerin wäre, weil sie so eine dunkle Haut hatte, aber das war wahrhaftig nur der allerwaschechteste Dreck.(…)” sind nach Ansicht des bayerischen Kultusministeriums durchaus dazu geeignet, “zu einem respektvollen Miteinander anzuleiten”.

In der ausführlichen und vielfältigen Abwehr der Vorwürfe, dass die Lektüre Rassismus transportiere, “entlastet” die Behörde die Autorin Lindgren unter anderem mit der (nachweislich unsinnigen) ‘Begründung’, dass es in den 1940er Jahren “keinen Schwarzen in Skandinavien” gegeben hätte.

Beschwerdeschreiben der Literaturwissenschaftlerin

Textauszüge aus den kritisierten Werken

Antwortschreiben des bayerischen Kultusministeriums

(mehr Links zum Thema unten)

Analyse der Red. (weiterlesen):

Anstatt sich für diskriminierungsfreie Lehrmittel einzusetzen, geht es dem bayerischen Kultusministerium hier anscheinend vor allem um die Verteidigung eines “Gewohnheitsrechtes” . Es werden klassische Ausflüchte bemüht. Die prominentesten davon werden im folgenden aufgegriffen (Anführungszeichen stehen für pointierte Aussagen; keine Zitate):

– “früher war das aber ein normaler Begriff”.

Das stimmt. Zur selben Zeit war es aber auch “normal”, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen keine Rechte hatten, Leute deportiert und ermordet wurden und ein Ehemann ungestraft seine Frau vergewaltigen durfte. Dass etwas früher mal von der Mehrheitsgesellschaft ungestraft ausgelebt werden konnte, bedeutet weder, dass es demokratisch ist, noch dass es einen Grund dafür gibt, es 2008 fortzuführen.

Es geht im übrigen nicht darum, weshalb die Autorin den Begriff verwendet und wieviel Preise sie erhalten hat, wie hoch Auflage der Bücher ist oder wie viele positive Botschaften -neben den rassistischen- in den Werken enthalten sind.
Es geht nur um die Verantwortung des Kultusministeriums, sein Lippenbekenntnis zur Anleitung zu einem “respektvollen Miteinander” auch umzusetzen.

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– “das war keine Absicht”

Das Ministerium schreibt, dass Astrid Lindgren die Verbreitung eines kolonialrassistischen Weltbildes sicher nicht beabsichtigt hat, weil sie einmal eine Rede für gewaltfreie Erziehung von Kindern gehalten habe. Hier weiß man anscheinend gar nicht, was Rassismus (oder Kolonialisierung) überhaupt ist.
Oder will ablenken.

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– “Heute würde man Schwarze sagen”.

Und damit weiter transportieren, dass in Kenia angeblich alle Menschen den ganzen Tag lügen? Die Beschwere über die Inhalte der Bücher wird ausgeblendet; keine Stellung dazu bezogen.

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– “rassistisches Vokabular wird aufgefangen, weil die Lehrerin mit den Kindern darüber redet”

(Zitat aus dem Antwortschreiben: – “Ein kritischer Deutschunterricht… wird diese Stelle aufgreifen, die intensive Gespräche zur Förderung der interkulturellen Kompetenz ermöglicht”)

1) Das wagen wir zu bezweifeln. Ganz im Gegenteil liegen uns zahlreiche Meldungen vor, denenzufolge Lehrpersonal nicht dazu bereit ist, Inhalte und Ausdrucksweise dieser Bücher kritisch zu behandeln.

2) Warum soll man Kindern erst rassistische Inhalte und Bezeichnungen wie selbstverständlich präsentieren und dann darauf hoffen, dass sich zufällig eine Lehrkraft findet, die den Text benutzt um ihn dann freiwillig zu dekonstruieren?

3) Woher sollen die LehrerInnen das Knowhow haben, Rassismus zu identifizieren und zu dekonstruieren, wenn sie darin nicht geschult sind und anscheinend selbst das Kultusministerium hierbei Schwierigkeiten hat?

4) Werden dann auch demnächst Bücher im Unterricht eingesetzt, in denen es wieder “Itzigs” heißt und die Kinder lernen, dass “Zigeuner stehlen”? Auch Beleidigungen von Frauen könnten den Unterricht um viele schöne “intensive Gespräche” bereichern. Wenn das so viel Sinn macht – warum gibt es dann keine Lektüre, in denen Angehörige der Mehrheitsgesellschaft pauschal menschenunwürdig und demokratiefeindlich bezeichnet werden?

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– “Es kann kein Rassismus sein, weil wir in unsere Statuten geschrieben haben, dass wir Toleranz fördern”

Reverse Logik: was wir nicht wollen, das gibts einfach nicht und deswegen beschäftigen wir uns auch nicht damit. Gutes Mittel hegemonialen Diskurses, um nicht zu Inhalten und Positionierungen Stellung zu nehmen.

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– “schon von amts wegen können wir da gar nichts dran ändern”

Dieses Argument hat nicht zuletzt vor dem geschichtlichen Hintergrund deutscher Behördlichkeit und Bürokratie einen bitteren Beigeschmack.

Das bayerische Kultusministerium schreibt, dass es bezogen auf bayerische Grundschulen keinen Kanon der empfohlenen Literatur für “Ganzschriften” gebe, und dass aus diesem Grund die oben beschriebene Lektüre Pippi L.s nicht dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule widerspreche.

Ob das Kultusministerium sich wundert, wenn diese “Logik” als zutiefst zynisch interpretiert wird?

Wir werden den “Fall” weiter beobachten.

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weitere Links zum Thema:

– wissenschaftlicher Essay von Prof. Dr. Maureen Maisha Eggers zum download:
Pippi Langstrumpf – Emanzipation nur für weiße Kinder?
Rassismus und an (weiße) Kinder adressierte Hierarchiebotschaften

– Über den Inhalt der Ph.D Dissertation “Black and Swedish: Racialization and the Cultural Politics of Belonging in Stockholm”

Workshop und Plenum in München am 11. Dezember 2008: Rassismus in Schule und Medien
Hier werden Forderungen und Empfehlungen an die Stadt München, ggf weitere Behörden erarbeitet.

– Website und Projekt über Weißsein, Sprache, Gewalt und Vermeidungsstrategien

Sw

3 replies
  1. Andreas
    Andreas says:

    ..die Begruendungen sind tatsaechlich so unsinnig und durchsichtig, dass man sich, in Kombination mit der ‘amtlichen’ Komponente dessen, unwillkuerlich an die Buerokratie unter dem NS erinnert fuehlt. Das verbindende Element ist dabei vor allem, dass man ahnt, dass alle ‘amtlichen’ Beteiligten mehr oder weniger dasselbe ‘denken’ und daher wissen, was sie ‘zu tun haben’, diese unheimliche Kommunikation transversal zum ‘offiziell gesagten’, das damit auch voellig unwichtig wird, die Begruendungen durfen ruhig provokant-unsinnig ausfallen, da es keine ‘massgebliche’ Instanz gibt, die sich daran stoeren koennte. Ich denke es gibt nichts, was man in ‘hinreichend homogenen’ Gesellschaften, und das ist Bayern/Deutschland offenbar, in denen ein Konsens ueber die Zweitklassigkeit der Interessen bestimmter Gruppen besteht, dagegen tun koennte. Ich muss sagen, ich kenne auch persoenlich niemanden innerhalb meines weissen Bekanntenkreises, der sich ernsthaft ueber solche Passagen bei Lindgren aufregen wuerde und die Tatsache, dass sich Uni-Dozentinnen damit beschaeftigen ist fuer diese Bekannten eher ein Beweis fuer die Irrelevanz des Themas denn fuer seine Relevanz. Man sei halt ‘uebersensibel’, schon immer gewesen, man neige zur Uebertreibung und Dramatisierung, man suche Nadeln im Heuhaufen…so sind sie die Deutschen: korrekt, dickes Fell, solange ihnen selbst niemand zu nahe kommt und ansonsten ‘die Dinge laufen lassen’, Emphatie fuer Minderheiten, das ist ihnen wirklich zuviel der Abstraktion, bei ihnen persoenlich hat sich ueber solche Dinge jedenfalls noch niemand beschwert, also was soll die Aufregung.

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