“Aus rassistischen Gründen EU-Wahl verwehrt”

Ein unglaublicher Brief erreichte uns heute: einer Deutschen wurde am vergangenen Sonntag in Münster die EU-Wahl verwehrt, möglicherweise einzig und allein aufgrund vorschneller rassistischer Schlussfolgerungen wegen ihres Namens.

Das Ereignisprotokoll der Geschädigten:

Am 07.06.2009 wollte ich in Münster zur Wahl des Europaparlaments im Wahllokal meine Stimme abgeben, als mir der Wahlhelfer mitteilte, ich stünde nicht im WählerInnenverzeichnis.

Nachdem ich darauf bestand, dass ich ordnungsgemäß angemeldet sei, rief eine weitere Wahlhelferin im Rathaus an, um der Angelegenheit auf den Grund zu gehen. Nachdem sich die Frau am anderen Ende davon hat überzeugen lassen, dass ich trotz meines Nachnamens auch deutsche Staatsbürgerin bin (ich habe eine doppelte Staatsbürgerschaft) sprach sie mit mir und erzählte mir, ich könne nicht im WählerInnenverzeichnis eingetragen sein, da ich gar nicht im Melderegister auftauche, was mir jedoch unmöglich erschien, da ich mich vor zwei Jahren bei meinem Einzug in meine neue WG ordnungsgemäß angemeldet hatte. Mensch könne jetzt nichts mehr für mich tun, ich müsse am Montag zum Einwohnermeldeamt und die Angelegenheit vor Ort klären.

Voller ohnmächtiger Wut im Bauch ging ich nach Hause und am nächsten Tag, inklusive meiner Meldebescheinigung zum Amt. Dort ließ ich mich sofort zu Fachstellenleiterin bringen, um meine Beschwerde vorzubringen. Diese ließ sich zunächst einen Registerauszug über den Vorgang ausdrucken, was jedoch nicht viel zur Klärung beitrug. Es ließ sich herausfinden, dass am 07.01. diesen Jahres ein Ermittler beauftragt war, mehrere Menschen ausfindig zu machen.
Warum ich überhaupt gesucht wurde, konnte sie mir im Amt jedoch nicht sagen, da es keinerlei Unterlagenrücklauf gab. Was jedoch in Erfahrung zu bringen war, war, dass der Ermittler angeblich mit einem “Hausmeister” gesprochen und die Information bekommen hat, ich würde nicht unter der angegebenen Adresse wohnen. Nun vollends erstaunt gab ich an, dass es für unser Haus überhaupt keinen Hausmeister gibt. Mit mehr Fragen als Antworten ging ich nach Hause, um mit unserem Vermieter zu sprechen. Wie bereits vermutet, bestätigte er mir, dass es keinen Hausmeister gibt. Es gebe nur einen Menschen vom Sozialamt, der sich um mehrere Flüchtlingsfamilien in unserem Straßenzug kümmere.

Nun wurde mir klar, wie der Vorfall abgelaufen sein könnte, und nach meiner Meinung auch abgelaufen ist, da mir jede weitere Erklärung fehlt und es ein leichtes gewesen wäre herauszufinden, dass mein Name am Briefkasten steht und ich im Haus bekannt bin. So viel Mühe hat sich die ermittelnde Person aber anscheinend gar nicht gemacht. Etwas eigene Kombinatorik hat ihm diese Arbeit erspart. Bei meinem Nachnamen (ich bin Deutsch-Jordanierin) war ihm klar, dass ich nur Ausländerin sein könne und wer wäre da wohl kompetenterer Ansprechpartner als der Herr vom Sozialamt, der sich ja um die Ausländer kümmert? Der Herr vom Sozialamt hat dann, als er gefragt wurde, ganz angestrengt nachgedacht und ist zu dem Schluss gekommen, wenn er den (typisch ausländischen) Namen nicht kennt, dann kann es mich unter der Adresse auch nicht geben.

Doch damit nicht genug, bis ich diesen rassistischen Schlussfolgerungen auf die Schliche kam musste ich mir noch mehr rassistische Kommentare anhören. Als ich beim Sozialamt anrief, um diesen “Hausmeister” ausfindig zu machen, sprach ich mit seinem ehemaligen Vorgesetzten. Nachdem ich ihm meine Beschwerde vorgetragen hatte, fing er an zu überlegen, warum ich denn überhaupt gesucht worden sein könnte. Seine erste Vermutung (klar, mein Name) war, ich könnte ja Sozialleistungen beziehen (nicht das erste Mal, dass jemand von meinem Nachnamen auf die Art meines Lebensunterhalts schließt). Als ich ihm ,mittlerweile wirklich sauer, sagte, dass ich Studentin und darüber hinaus Stipendiatin sei, sagte er, ich müsse aber auch Verständnis haben mit dem Nachnamen, es gebe ja “genug illegale Menschen, also ohne Papiere, die dann hier Scheinadressen angeben…”. Er konnte auch gar nicht verstehen, warum ich so wütend sei. Zur Auflockerung der Situation fragte er mich dann auch erstmal, welche Partei ich denn gewählt hätte, hätte ich wählen dürfen.

Erst die Beschwerde beim Amtsleiter des Sozialamtes brachte die eingeforderte Entschuldigung. Denn nicht nur durfte ich aufgrund rassistischer Schlussfolgerungen nicht mein Bürger_innenrecht auf freie Wahlen ausüben; in der nächsten Woche werde ich für drei Monate nach Kapstadt gehen. Spätestens bei dem Versuch wieder einzureisen, wäre ich vermutlich sogar erstmal in Gewahrsam genommen worden, da irgendwann, wenn das Einwohnermelde-und das Ordnungsamt mit der Suche nicht weiterkommen, meines Wissens nach die Polizei eingeschaltet wird. Mittlerweile trage ich mich mit dem Gedanken beim Komitee für Grundrechte vorzusprechen. Auf jeden Fall wünsche ich mir eine Veröffentlichung dieses Vorfalls.

S. El A. (Name geändert; der Red. bekannt)

Anm. der Red.
Die Geschädigte gibt an, Zeugen für die Vorfälle zu haben und prüft derzeit rechtliche Schritte.

2 replies
  1. Sonja
    Sonja says:

    Da hab ich heute morgen noch über das Urteil gegen Georgia gelesen, die ihre Wählerverzeichnisse diskriminierend “prüfen”, und gedacht, hier könnte das durch das Melderegister nicht passieren. Mir fehlen die Worte.

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